Psychotherapie Veranstaltung KVNO aktuell Letzte Änderung: 17.07.2024 11:14 Uhr Lesezeit: 4 Minuten

Kinder in der Krise

Corona, Kriege, Klimakrise – Kinder und Jugendliche sind seit einigen Jahren mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert.

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© pressmaster / Adobe Stock

Manche Krisen wirken sich ganz konkret auf den Alltag aus, andere verursachen allgemeine Sorgen oder Zukunftsängste. Wie können Eltern, Vertrauenspersonen sowie ambulante Psychotherapeutinnen und –therapeuten und die KV Nordrhein den Betroffenen helfen und sie stärken? Das war Anfang Juni Thema beim „Forum Seelische Gesundheit“ in Düsseldorf.

Mit Veranstaltungen, Aktion und Kinderdemos feierten zahlreiche Städte und Gemeinden am 1. Juni 2024 den Internationalen Kindertag. Die KV Nordrhein nahm dieses Datum ebenfalls zum Anlass, Kinder und Jugendliche in den Fokus zu rücken. Mitarbeitende und Mitglieder der KV Nordrhein referierten Anfang Juni im Rahmen der öffentlichen Veranstaltungsreihe „Forum Seelische Gesundheit“ zum Thema „Auswirkungen von Krisenzeiten auf die Psyche von Kindern und Jugendlichen“.

Seit einigen Jahren organisieren die Volkshochschule sowie das Gesundheitsamt Düsseldorf die Vortragsserie – dieses Mal in Kooperation mit der KV Nordrhein. Der Grund: Die Pandemie wirkt bis heute nach, dazu kommen immer neue Krisen, mit denen die Kinder im Alltag konfrontiert werden. Der Umgang damit ist für Eltern, Lehrerinnen und Lehrer sowie andere Vertrauenspersonen eine große Herausforderung. Auch in den psychotherapeutischen Praxen sind die Folgen der Coronazeit nach wie vor deutlich spürbar.

Gruppenangebote zur Prävention

Miriam Mauss aus dem Bereich Medizin und Pharmazie der KV Nordrhein stellte zur Einführung die Ergebnisse der großangelegten Studie Corona und Psyche (COPSY) vor. Das Ziel von COPSY: die Auswirkungen der Pandemie auf die psychische Gesundheit und die Lebensqualität von Kindern und Jugendlichen ermitteln. In fünf Befragungswellen wurden Kinder und Jugendliche sowie deren Erziehungsberechtigte dazu interviewt. Das Ergebnis: Fast 30 Prozent der Kinder und Jugendlichen zeigten Anfang 2022 weiterhin psychische Belastungen. Sie litten unter anderem unter Ängsten, Einsamkeit und Bewegungsmangel. Gleichzeitig stieg der Medienkonsum und die inhaltlichen Lücken im Schulstoff wurden größer. „Für die KV Nordrhein waren diese Erkenntnisse ein Anlass, schnell zu handeln“, erklärte Mauss. Ab August 2022 boten etwa 140 Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und –therapeuten (KJP) mehr als 180 niederschwellige Gruppenangebote für junge Leute zwischen sechs und 21 Jahren an, gefördert durch das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW. „Es handelte sich um ein Präventionsangebot. Da für die Teilnahme keine Diagnose notwendig war, konnten zahlreiche Kinder und Jugendliche schnell und unkompliziert an den Kleingruppen teilnehmen“, so Mauss.

Referent Bernhard Moors ist niedergelassener KJP in Viersen, in zahlreichen Verbänden aktiv und Mitglied der Vertreterversammlung der KV Nordrhein. Er war maßgeblich an der Entwicklung des Gruppenprogramms beteiligt und hat selbst einige Gruppen geleitet. Welche Erfahrungen hat er gemacht? Moors war es vor allem wichtig, dass die jungen Teilnehmenden untereinander ihre Situation und ihre Sorgen besprachen und Lösungen entwickelten. Bei Grundschulkindern half die Handpuppe „Rosa, das Kümmerschwein“, die er auch zum Vortrag mitgebracht hatte, ins Gespräch zu kommen. Bei den Älteren waren oft Musik und Liedtexte ein Türöffner, über Herausforderungen zu reden. Häufig leitete Moors auch Rollenspiele an, die den Kindern halfen, ihre eigene Situation zu verdeutlichen, sich in andere Personen hineinzuversetzen und neue Blickwinkel auf die Lage zu finden. „Selbst zurückhaltende Kinder, die sich in der Gruppe nicht sofort äußern konnten, haben so von den anderen gelernt“, ist die Erfahrung des Therapeuten. „Wie fühlt sich das an, wenn sich jemand gegen alles und jeden auflehnt und immer nur Nein sagt? Wo kommen meine Bauchschmerzen her? Geht es mir vielleicht besser, wenn ich mich von meinen Eltern mal lange in den Arm nehmen lasse?“

Die Rückmeldungen von Eltern und Lehrkräften zeigten: Viele der teilnehmenden Kinder konnten anschließend ihre Bedürfnisse besser äußern, beteiligten sich mehr am Unterricht und gewannen Selbstvertrauen zurück. Für Bernhard Moors waren die Gruppensitzungen außerdem eine Gelegenheit, Kinder und Jugendliche auszumachen, die eine langfristige Psychotherapie benötigen. „Viele Erwachsene vertreten die Auffassung, dass inzwischen alles wieder normal verlaufe und die Schwierigkeiten der Pandemie längst vergessen sein sollten. Das erlebe ich anders. Für Kinder und Jugendliche war die Pandemie ein äußerst einschneidendes Erlebnis mitten in ihrer wichtigsten Entwicklungsphase – da gibt es viel aufzuarbeiten“, erklärte der Experte.

Dem stimmte Melanie Hinzke, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin sowie Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Mülheim an der Ruhr, vollkommen zu. Auch bei ihr sei die Nachfrage in den vergangenen Monaten – also nach der Coronazeit – noch einmal gestiegen. Ihr Vortrag lehnte sich unter dem Titel „Der Kaiser ohne Kleider“ an das berühmte Märchen an. „In der Regel nehmen Kinder Erwachsene als stark war, als sicheren Hafen. In der Coronazeit hat sich das gewandelt. Eltern waren überfordert und mussten sich vielleicht Sorgen um ihre Arbeitsstelle machen, Großeltern hatten Angst vor Ansteckung, Lehrkräfte hatten Schwierigkeiten mit dem Homeschooling, selbst die Bundeskanzlerin wusste nicht, wie es weitergeht – plötzlich zeigten alle Erwachsenen Unsicherheiten. Das hat es Kindern schwergemacht, sich mit ihren eigenen Unsicherheiten an die Bezugspersonen zu wenden. Die Kinder haben Erwachsene gesehen wie den Kaiser ohne Kleider. Das wirkt bis heute nach“, erklärte sie.

Wie Erwachsene Kindern Sicherheit geben

Einige ihrer Tipps: Offen mit den Kindern darüber sprechen, dass auch Erwachsene nicht in allen Lebenslagen immer sofort Lösungen parat haben, aber Zuversicht geben, dass man in schwierigen Situationen Lösungen finden werde, wenn es notwendig wird. Außerdem: Keine Fragen beantworten, die die Kinder nicht stellen. „Wir machen uns als Erwachsene oft einen Kopf um Dinge, über die Kinder gar nicht nachdenken. Deswegen sollten wir Kindern keine Sorgen machen, die sie von sich aus gar nicht haben.“

In der Fragerunde zeigte sich: Neben einigen Eltern saßen vor allem Fachleute im Publikum, darunter Pädagogikstudierende, Schulsozialarbeiterinnen und –arbeiter oder Mitarbeitende von Beratungsstellen. So entstand nach den Vorträgen ein reges Gespräch über Medienkonsum, Hilfsangebote und lange Wartezeiten in psychotherapeutischen Praxen. Alle waren sich einig: Die Gruppenangebote, die Ende 2023 beendet wurden, sollten bestenfalls wiederaufgenommen oder sogar erweitert werden, damit Kinder und Jugendliche auch in Zukunft frühzeitig Hilfe erhalten können – bestenfalls bevor sich psychische Erkrankungen manifestieren.

  • Ina Armbruster und Dr. Karlheinz Großgarten