Letzte Änderung: 01.02.2024 11:09 Uhr Lesezeit: 2 Minuten

Berufsmonitoring Medizinstudierende: Work-Life-Balance wichtiger als Einkommen

Wie stellt sich der medizinische Nachwuchs seine berufliche Zukunft vor?

Vor allem ausbalanciert, was Arbeit, Familie und Freizeit angeht. Deshalb steht auch die Anstellung weiter hoch im Kurs – und das durchaus gern in der ambulanten Versorgung, wie das aktuelle Berufsmonitoring Medizinstudierende zeigt. Wichtig ist, mit den Studierenden im Gespräch zu bleiben.

Das Berufsangebot nach dem Medizinstudium ist breit und keineswegs auf den Beruf Ärztin oder Arzt beschränkt. Dennoch wollen Medizinstudierende zu über 99 Prozent in ihrem späteren Berufsleben mit Patientenkontakt arbeiten. Das ist angesichts der aktuellen Herausforderungen durch Demografie und zunehmende Multimorbidität eine gute Nachricht.

Ein weiterer positiver Trend: Immer mehr Medizinstudierende können sich eine Tätigkeit in einer Praxis oder einem Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) vorstellen, allerdings am liebsten in Anstellung und mit Aussicht auf geregelte und flexible Arbeitszeiten. Auch Familie und Beruf sollten gut zu vereinbaren sein. Das ist den Ärztinnen und Ärzten von morgen noch wichtiger als gute Verdienst- oder Karrieremöglichkeiten. 67,5 Prozent der aktuellen Medizinstudierenden gaben an, eine angestellte Tätigkeit in der Praxis sei denkbar (2018: 62,3 Prozent), 65,7 Prozent würden ebenso in einem MVZ (2018: 64,5 Prozent) arbeiten. Der Job als Hausärztin oder Hausarzt in eigener Praxis ist für 42,6 Prozent vorstellbar (keine Veränderung zu 2018). Die fachärztliche Tätigkeit in der Niederlassung finden 71,2 Prozent interessant (2018: 75,8 Prozent) – sie liegt damit gleichauf mit einer Beschäftigung in der Klinik im Anschluss an das Medizinstudium (2022: 72 Prozent, 2018: 74,8 Prozent).

Interesse an der Niederlassung fördern

„Die Niederlassung, besonders als Fachärztin oder Facharzt, ist für Medizinstudierende genauso interessant wie die Tätigkeit im Krankenhaus. Das bestätigt das Berufsmonitoring, das erfahren wir aber auch in unseren Gesprächen mit Studierenden an den nordrhein-westfälischen Hochschulen“, sagt Linda Anders, die bei der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNO) die Abteilung Nachwuchsgewinnung Ärzte und MFA leitet. „Unser Ansatz: Um die Studierenden für die Niederlassung zu gewinnen, gilt es, bei jedem Kontakt und jeder Botschaft die positiven Seiten der Niederlassung zu kommunizieren. Dazu können im Übrigen alle beitragen, die Kontakte mit Studierenden pflegen: die Niedergelassenen während der Famulatur, dem praktischen Jahr und der Weiterbildung ebenso wie wir als KVNO bei Beratungen und in der Online-Kommunikation.“

Was spricht gegen die Niederlassung?

Das Interesse an der Niederlassung ist über die Jahre zwar gewachsen – die Autoren der Studie bescheinigen hier ein Potenzial von 76 Prozent, die Unentschlossenen eingerechnet sogar von 83 Prozent. Dennoch benennt der medizinische Nachwuchs auch deutlich, was ihn an einer vertragsärztlichen Tätigkeit abschreckt. Demnach spricht vor allem die Erwartung eines hohen finanziellen Risikos gegen die Niederlassung (52,6 Prozent). Die Angst vor Wirtschaftlichkeitsprüfungen und Regressen (42,4 Prozent) bleibt ein riesiger Hemmschuh – auch wenn diese faktisch selten realisiert werden. Hier reicht schon die bloße Existenz als Abschreckungsfaktor aus.

Noch mehr sind es jedoch medizinfremde Tätigkeiten und die Bürokratie, die den Studierenden die Niederlassung verleiden: Für 65,5 Prozent ist dies eine wichtige Niederlassungsbremse (2010: 57, 8 Prozent, 2018: 62,3 Prozent).

„Die Studie zeigt, dass die Werte der jüngeren Generation auch die Vorstellungen der Medizinstudierenden prägen. Die Trends zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf, flexibler und geregelter Arbeitszeit, das Arbeiten im Team und die Offenheit für Anstellung statt Selbstständigkeit setzen sich fort.“

Linda Anders Linda Anders, KVNO-Abteilungsleiterin Nachwuchsgewinnung Ärzte und MFA

Innere Medizin am beliebtesten

Wenn sie sich jetzt für eine Facharztweiterbildung entscheiden müssten, würden 14 Prozent der Studierenden die Innere Medizin wählen. Es folgt an zweiter Stelle die Allgemeinmedizin mit 11,2 Prozent. Beliebt sind auch die Kinder- und Jugendmedizin, Anästhesiologie und Chirurgie mit jeweils knapp zehn Prozent der Nennungen. „Definitiv nicht infrage“ kommt für fast die Hälfte der Studierenden die Augenheilkunde (47 Prozent). Hohe Ablehnungswerte erhalten auch die Fachgruppen zur Behandlung von Haut- und Geschlechtskrankheiten, das öffentliche Gesundheitswesen und die Tätigkeit in der Psychiatrie und Psychotherapie.

Mehr Wissensvermittlung notwendig

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) begrüßt mit Blick auf die Umfrageergebnisse grundsätzlich, dass für eine wachsende Zahl der Studierenden eine spätere Beschäftigung in einer Praxis oder einem MVZ denkbar ist. Sie bemängelt aber gleichzeitig, dass es nach wie vor Wissensdefizite über die Arbeitsbedingungen und Anforderungen der ambulanten Versorgung gibt: „Da universitäre Ausbildung immer noch weit überwiegend stationär erfolgt und ärztliche Berufsausübung fast ausschließlich in Anstellung erlebt wird, sind die Bemühungen um die Information von Studierenden über die ambulante, auch selbstständige Tätigkeit, weiter zu intensivieren“, heißt es in der Stellungnahme der KBV.Die KVNO versucht dies unter anderem dadurch, dass sie schon früh direkt auf

Medizinstudierende zugeht. „Die ambulante vertragsärztliche Tätigkeit bietet auf jeden Fall vielfältige Tätigkeitsmodelle für jede Lebensphase und Werte, die der jungen Generation wichtig sind, wie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, flexible und geregelte Arbeitszeiten, das Arbeiten im Team und in verschiedenen beruflichen Kooperationsformen. Das vermitteln wir Studierenden in unseren Universitätsseminaren, aber auch immer öfter ganz informell bei Medizinerpartys und Fachschaftstreffen“, verrät Linda Anders.

Das Berufsmonitoring Medizinstudierende ist ein gemeinsames Projekt der KBV, des Medizinischen Fakultätentags, der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland und der Universität Trier. Für die inzwischen vierte Befragungswelle wurden Mitte 2022 insgesamt 8600 Medizinstudierende an deutschen Hochschulen befragt.

  • Thomas Lillig